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Encyclopaedia Judaica

Juden in Argentinien 03: 1810-1890

Die schrittweise Emanzipation der Juden - Einwanderung russischer Juden ab 1881 - französischer Antisemitismus - der Plan jüdisch-landwirtschaftlicher Siedlungen in Argentinien

aus: Argentina; In: Encyclopaedia Judaica 1971, Band 3

präsentiert von Michael Palomino (2007)


übersetzt von Michael Palomino (2011)

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[Teilweise Emanzipation der Juden seit 1853]

MODERNE

Die gesetzliche Grundlage für jüdisches Leben.

Der Cabildo Abierto [[der Offene Rat der Stadt]] tagte erstmals am 25. Mai 1810 und markierte damit den Beginn der Unabhängigkeit Argentiniens. Er schaffte die koloniale Gesetzgebung nicht ab, und Nicht-Katholiken wurden weiterhin verfolgt. Ein Rundschreiben vom 3. Dezember 1810, unterzeichnet von Mariano Moreno, dem Sekretär der Mai-Regierung (Junta de Mayo), liess den Kreis der geladenen Personen aber erweitern mit "Briten, Portugiesen und anderen, die mit uns nicht im Kriege stehen". Am 4. Dezember 1812 kam dann von Bernardino Rivadavia ein Dekret (Kol. 409)

das eine freie Einwanderung für alle Nationen nach Argentinien verfügte, mit der Versicherung, dass alle grundlegenden Menschenrechte gewährt würden. Die Inquisition aber wurde dann erst am 24. März 1813 abgeschafft. Am 7. Mai 1813 entschied die konstituierende Versammlung, dass Ausländer nicht an der Ausübung ihrer religiösen Bräuche gehindert würden, wenn diese durch die Einzelpersonen in ihren eigenen Häusern ausgeübt würden.

Im Jahre 1825 schlossen die Regierungen von Argentinien und Grossbritannien ein Abkommen, in dem die Provinz Buenos Aires die religiösen Freiheiten auch allen Protestanten zubilligte.

All diese Abkommen, zum Beispiel solche zu nicht-katholischen Heiratsbräuchen im Jahre 1833, galten aber nicht für Juden. Erst in der Verfassung von 1853 tauchten Bestimmungen auf, die dem jüdischen Leben in Argentinien eine gesetzliche Grundlage gaben. Eine komplette Religionsfreiheit für alle Einwohner Argentiniens, Inländer und Ausländer, wurde hier speziell in den Paragraphen 14 und 20 der Verfassung festgelegt, und im Paragraph 19 angedeutet.

Dennoch bestimmte die Gesetzgebung, dass die Regierung die Gottesdienste der römisch-katholische Kirche unterstützen muss, und da waren Beschlüsse, dass der Präsident und seine Abgeordneten den römisch-katholischen Glauben haben müssen (Paragraphen 2, 76).


[1884: Erziehungsarbeit für die Trennung von Kirche und staatlicher Schule - 1888: Gesetz der zivilen Heirat]

Die Verfassung wurde auf Druck liberaler Elemente in der gesetzgebenden Versammlung verabschiedet, die in den folgenden Jahren eine dominierende Rolle spielte. Während der 1880er Jahre kam es sogar zum offenen Streit zwischen der argentinischen Regierung und der Katholischen Kirche. Das Erziehungsgesetz von 1884 besagte unter anderem, dass Religionsunterricht in Schulen nur durch Geistliche unterrichtet werden durfte, die von gewissen religiösen Einrichtungen kamen, und nur an Kinder, die den entsprechenden Glauben hatten, und nur vor oder nach dem regulären Schulunterricht. Dieses Gesetz versuchte, den kirchlichen Einfluss auf die staatlichen Schulen zu unterbinden, und provozierte natürlich eine Opposition in konservativen Kreisen. Das Gesetz wurde 1886 verabschiedet und verlangte, dass alle Einwohner ihre Religion in die staatlichen Register eintrugen. Dem Klerus wurde ausserdem das Privileg genommen, die Geburtenregister und die Heirats- und Sterberegister zu führen. Als der vatikanische Vertreter beim grossen Streit intervenierte, brach die Regierung von Julio A. Roca die Beziehungen zum Vatikan ab, und wurden dann erst im Jahre 1900 wieder aufgenommen.

Der Höhepunkt der weltlichen Gesetzgebung war dann mit der Einführung der zivilen Trauung im Jahre 1888 erreicht. Die liberale Gesetzgebung sicherte den gesetzlichen Status der Nicht-Katholiken ab, darunter auch die Juden, und schaffte alle mögliche Diskriminierung ab, die vorher auf zivilgesetzlicher Basis bestanden hatte. Die Wichtigkeit der neuen Gesetzgebung nahm aber im Verlaufe der Zeit eher wieder ab, denn konservative und nationale Elemente ignorierten die liberale Ideologie der neuen argentinischen Verfassung; aber die religiösen Freiheiten, die 1853 in der Verfassung festgelegt worden waren, wurde nicht angetastet.

[H.A.]> (Kol. 410)


[Jüdisch-kulturelle Rechte für die CIRA ab 1883]

<Geschichte. 1840-1890.

Die Gründungen des neuen jüdischen Lebens in Argentinien wurden von Einwanderern aus Westeuropa vorgenommen. Einige kamen in den 1840er Jahren, aber die ersten Aufzeichnungen über jüdisches Leben war die erste jüdische Hochzeit, die 1860 durchgeführt wurde. Ein minyan [[Gebetskreis]], der sich im Jahre 1862 y hohen Feiertagen zusammenfand, entwickelte sich im Jahre 1868 zur Israelitischen Gemeinde der Republik Argentinien (orig. Spanisch: Congregación Israelita de la República Argentina, CIRA), und betreute die Gemeinde von Buenos Aires  in Sachen Heirat, Begräbnis auf dem Friedhof der Andersgläubigen, und ab 1874 auch in Sachen Beschneidung.

1877 wurde der Antrag des Präsidenten der CIRA, Segismundo Auerbach, ein offizielles Register jüdischer Geburten, Heiraten und Todesregister zu führen, nicht stattgegeben, und zwar unter dem Vorwand, dass dies nur dem Klerus jeder Religion zustehen würde. Erst als Henry Joseph (ein englischer Geschäftsmann in einer Mischehe, der einige jüdische Kenntnisse besass) von der CIRA zum Rabbi gewählt wurde und vom Oberrabbiner des französischen Oberkirchenrats im Jahre 1883 bestätigt wurde, wurde der Gemeinde die Erlaubnis gegeben.


[ab 1881: Einwanderungsgesetz für russische Juden - französischer Antisemitismus in Argentinien - 2000 Juden im Jahre 1889]

Pogrome in Russland im Jahre 1881 führten dazu, dass die Regierung ad honorem einen Einwanderungsminister bestimmte, um (Kol. 410)

russischen Juden die Einwanderung zu erleichtern. Diese Entscheidung provozierte starke antisemitische Angriffe in der Presse, die von den Führern der jüdischen Gemeinde stark zurückgewiesen wurden. Französischer Antisemitismus beeinflusste auch José María Miró, der im Jahre 1890 sein Buch "Die Börse" (orig. Spanisch: "La Bolsa") schrieb, ein Roman, in dem einige antisemitische Passagen fast verbatim [[wortwörtlich]] aus dem Buch "Das jüdische Frankreich" (orig. "La France Juive") von Edouard *Drumonts übernommen worden sind.  Zuerst wurde das Buch "Die Börse" (orig. "La Bolsa") in der einflussreichen Zeitung "Die Nation" (orig. Spanisch: "La Nación") publiziert, und wurde dann wiederholt als Buch herausgegeben und gilt bis heute als eine historische Quelle für diese Zeit.

Obwohl im Jahre 1887 die Volkszählung in Buenos Aires nur 366 Juden ergab, wird angenommen, dass bis 1889 zwischen 1500 und 200 Juden in der Republik Argentinien lebten.

[V.A.M.]> (Kol. 413)


<Landwirtschaftliche Siedlungen.

[1888-1890: Erste jüdische Siedler kommen mit dem Schiff "SS Weser" - Untersuchung von Wilhelm Loewenthal]


Im Jahre 1888 begann die Zeit der jüdisch-landwirtschaftlichen Siedlungen in Argentinien unter Leitung der *Alliance Israëlite Universelle. Von den 136 Familien, die mit dem Schiff "SS Weser" im Jahre 1889 ankamen, erreichten ungefähr 40 das Land des Grossgrundbesitzers Pedro Palacios, und errichteten die Kolonie Moses-Stadt (orig. Spanisch: Moisésville). Die Siedler litten in den ersten Monaten der Siedlungszeit an Hunger und an Krankheiten, weil ihnen Ausrüstung und finanzielle Mittel fehlten. Wilhelm Loewenthal, ein jüdischer Arzt und Naturforscher, wurde von der argentinischen Regierung eingeladen, in der zweiten Hälfte des Jahres 1889 eine Untersuchung durchzuführen. Auf seinem Weg nach Argentinien wurde er von jüdischen Führern in Berlin und Paris, die den Einwanderern die Überfahrt auf der Weser ermöglicht hatten, angehalten, die Lebensbedingungen der Siedler zu untersuchen.

Während seines Aufenthalts in Argentinien versuchte Loewenthal (Kol. 427)

die Beziehungen zwischen Palacios und den Siedlern zu verbessern. Er unterbreitete der Alliance Israëlite Universelle auch ein langfristig angelegtes Programm für jüdische, landwirtschaftliche Siedlungen in Argentinien, die um die 5000 Personen pro Jahr aufnehmen sollten. Aber die Alliance lehnte seinen Vorschlag ab. Die Idee wurde dann auch noch Baron Maurice de *Hirsch unterbreitet, der entschied, den Plan anzunehmen, denn er hatte selbst seine Pläne begraben, den vielen russischen Juden zu helfen, ein Schulnetz in Russland aufzubauen.> (Kol. 428)

[[Die Ausrottung der Ureinwohner in Argentinien wird in der Encyclopaedia Judaica nie erwähnt]].

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Quellen
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3,
                        Kolonne 409-410
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 409-410
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3,
                          Kolonne 413
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 413
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3,
                          Kolonne 427-428
Encyclopaedia Judaica: Argentina, Band 3, Kolonne 427-428


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